KUNST STOFFwith Gada Amer, Polly Apfelbaum, Sabine Boehl, Alighiero Boetti, Louise Bourgeois, Rainer Ganahl, Gudrun Kampl, Claes Oldenburg/Coosje van Bruggen, Kim Sooja, Füsun Onur, Tal R, Jessica Stockholder, Rosemarie Trockel, Cosima von Bonin and traditional textiles from Ikat, Indonesia, Kaitag, Daghestan, Kesa, Japan, Quilt, Pennsylvania, Suzani, Uzbekistan, ...
Group Exhibition
Introduction Prof. Elisabeth von Samsonow, Academy of Fine Arts, Vienna
CURATORSProf. Elisabeth von Samsonow and Rosemarie Schwarzwälder
ART DISCUSSIONGilbert Bretterbauer, Vienna Gerburg Treusch-Dieter, Berlin Erwin Wurm, Vienna Elisabeth von Samsonow, Vienna, moderation
22 Apr 2004
Grünangergasse 1
1010 Vienna
3 Mar – 24 Apr 2004
Wesshalb die textilen Künste vorauszuschicken sind.”
Eine zeitgenössische Bestimmung des Verhältnisses zwischen dem Textilen und der bildenden Kunst kann sich auf Gottfried Sempers drastische These beziehen, die besagt, dass das Textile die einzige wirklich kreative Kunstform sei, von welcher sich alle anderen Künste in einer unendlichen Reihe mimetischer Überbietungsversuche herleiten lassen müssen - auch wenn es hier bestimmt nicht um eine einfache Bestätigung der Behauptung geht, sondern vielmehr um Wirkungen, Anregungen, Interferenzen und Zitate, die die zeitgenössische Kunst ihrerseits zur Untersuchung und zum Einsatz des Stofflichen bringt. Die Geschichte des künstlerischen Stoff-Fetischismus lässt sich in einer Vielzahl von Linien verfolgen, von denen vor allem zwei - nämlich diejenige, die sich von der visuellen Gestaltung des Textils in Bann schlagen ließ, und zum zweiten die in ihm einen Hautersatz oder ein Körper-Äquivalent erblickt - Relevanz für die Moderne und die Postmoderne besitzen.
Was die Visualität des Textilen betrifft, so baut sie sich aus seiner Textur selbst auf, ist insofern identisch mit ihrem Gewirk, das aus einer gewissen Kreuzung chromatischer Fäden besteht. Diese Fadenkreuze, in ihrer Evokation eines kryptischen universalen Skripts, erwiesen sich sowieso als Minimum jeglicher Organisation, die als Determinante Komplexität hat. Mit solchen Fadenkreuzen ließen sich die offenen Räume zu euklidischen und geographischen umgestalten, was bedeutet, dass sie generative, sich über sie hinaus erstreckende Potenzen haben, die die „abstrakten“ Maler, nach dem Ausbleichen des Tafelbildes, wie hypnotisiert starren. Die Neigungen und Knotungen der Fadenverläufe im Textil nehmen einmal alles vorweg, was es an Interpretation des Räumlichen in der Zweidimensionalität geben kann.
Während also die einen sich um die Befreiung der flirrenden visuellen Botschaft aus dem Medium des Angewandten bemühen und Logik der Textur in einem Verfahren, das Semper als Stoffwechsel bezeichnet hätte, in den Kanon der Künste übersetzen (rekonstruieren), sehen die anderen im Textilen, im Stoff sofort seine Eignung zur organischen Erweiterung des Körpers selbst: aus dem Binom Körper/Kleid wird ein Kapital geschlagen, das sich wie nichts sonst zu Gunsten eines erweiterten Körperwissens einsetzen lässt. Hier ist der Stoffwechsel tatsächlich der zwischen „weichen“, einander ähnlichen Texturen, dem (Binde)Gewebe des Körpers und seiner artifiziellen Spiegelung in seinen Nahräumen, in den Hüllen, in den Polsterungen von konkaven und konvexen Körpern und im Geflecht. Man sieht neuerdings sogar junge Künstler zum Nähzeug greifen, womit sie den Parcours durch die performativen Stadien als Körperkunst auf verblüffende Weise abkürzen. Das genähte, gewirkte und gestrickte Zeug bringt die Linie als erfahrenen, magischen roten Faden ins Spiel und appelliert an die Ur-Investitur (Verkörperung) durch das paranoide Rearrangement von Nähten im Gewand. Die Ausstellung ist ein Versuch, die Spannungen in einem triangulären Verhältnis zwischen dem Textil, der visuellen und konstruktiven Logik der Bilder und dem sensiblen Nahraum des Körpers in einer mise-en-scène zwischen zeitgenössischen und tradierten kulturellen Positionen neu zu erfassen.
SABINE BOEHL, geb. 1974 in Darmstadt, lebt in Düsseldorf. “Die eigene Intention liegt in einer Verwebung von Bildzeichen in Form von farbigen Glasperlen, monochrom mit Nagelack bestrichenen Farbtafeln, einzelnen Plexiglasmodulen. Das formale Bestreben liegt gleichermaßen begründet in der Auseinandersetzung mit den antiken Mosaiken, pompejanischen Wandmalereien, den Dekorationen des Domus Aurea von Nero in Rom, den grotesken Ornamenten Raffaels wie mit ornamentalen Strukturen.” (2003)
ALIGHIERO BOETTI, geb. 1940 in Turin, gest. 1994 in Rom, Italien. “Ich beschäftige mich jetzt mit afghanischen Arazzi, so wie Tamerlango, Attila, Djingis Chan, Khubilai Chan sie unter den Sattel legten, um ihre kleinen tartarischen Pferde zu reiten. Es sind über und über farbige Arazzi, voller Buchstaben.” (1982)
LOUISE BOURGEOIS, geb. 1911 in Paris, lebt in New York. “Als sei Stoff eine Epidermis eigenen Rechts, verwendet Louise Bourgeois überwiegend eigene Kleidungsstücke zur Herstellung ihrer Stelen und Figuren. Als würden durch die konkrete physische Ausdehnung eines Körpers, verstärkt durch Material und Muster, Gefühle und Ängste regelrecht messbar, wird Stoff zu einer Art zweiten Haut, mit der sich umgehen lässt. Haut als Grenze zur Welt erscheint dichotomisch zugleich als Schutz und Verletzbarkeit.“ (Marianne Harms-Nicolai, Galerie Karsten Greve, 2003)
GUDRUN KAMPL, geb. 1964 in Klagenfurt, lebt in Wien. “Das Gewand erscheint uns im Moment seines Gebrauchs als etwas Individuelles, Eigenes, Persönliches und gilt auch als authentischer Beleg für den Körper, weil er dessen Berührung bezeugt. Die zahlreichen, heiligen Gewänder' zählen zu den verbreitetsten Berührungsreliquien.”
KIM SOOJA, geb. 1957 in Taegu, Korea, lebt in New York. “Die Koreaner haben einen ganz anderen Bezug zu diesen Bettlaken wie auch zu ihren Kleidern als die westlichen Menschen. Sie glauben, dass der Geist der Person, die die Kleider getragen hat, darin lebt. In Korea ist es absolut unüblich, gebrauchte Kleider von jemand anderem zu tragen. Secondhand-Geschäfte sind uns fremd.” (2002)
CLAES OLDENBURG, geb. 1929 in Stockholm, lebt in New York, seit 1976 Zusammenarbeit mit COOSJE VAN BRUGGEN, geb. 1942 in Groningen, Niederlande, lebt in New York. “The main reason for making a soft version of a known hard object may be (I think more and more it is) to dramatize or isolate the condition of softness. And other conditions such as the response to 'gravity' - this condition under which objects appear to exist, and we as objects, as matter, appear to exist.” (1969)
FÜSUN ONUR, geb. 1938 in Istanbul, lebt in Istanbul. “I use textile, tulle representing light textile. I like its transparency, its sort of hiding but half-showing fragility, whirling, twisting, its folding, curling. I think its roots go back to my childhood, the organza- dress I wore at the age of 5. The handkerchiefs with lace, embroidery I was given of festival days.” (2004)
JESSICA STOCKHOLDER, geb. 1959 in Seattle, WA, lebt in New Haven, CT. “I use fabric because it is a kind of skin, like paint, wall paper, sheet-rock, or lawns. I enjoy the enormous variety of imagery that is available on fabric and its plasticity. Unlike paint fabric has structure and a geometry embedded in it. It manages to be at once flat and three dimensional.” (2004)
ROSEMARIE TROCKEL, geb. 1952 in Schwerte, Deutschland, lebt in Köln. “Die Frage etwa interessiert mich, warum früher oft Ausstellungen von Künstlerinnen schlecht waren, warum sie Materialien nehmen aus Heim- und Herdbereich usw. Deshalb das typische und sehr belastende Material: Wolle. Ich will wissen, ob das negative Klischee überwunden werden kann, wenn der handwerkliche Aspekt aus dem ganzen Komplex herausfällt, wenn das Strickmuster vom Computer gesteuert entsteht.” (1988)