Mit seiner Ausstellung Coquelicot [Klatschmohn] markiert Adrian Schiess Extreme seines Werks und exponiert gleichzeitig deren Verbindung – zum besseren Verständnis kann das Möbiusband dienen, dessen Kehrseiten unmerklich, aber unaufhaltsam ineinander übergehen. Scheinbar gegenläufige malerische Entwürfe ins Spiel zu bringen, ist Sache einer außergewöhnlichen Radikalität und Präzision, die nur völliges Unverständnis gegenüber dem künstlerischen Gedanken mit Unentschiedenheit, Beliebigkeit oder Variabilität zu verwechseln vermag.
Die ersten flach auf den Boden gelegten Platten von 1986/87, bedeckt mit farbigem, spiegelndem Lack, stehen am Anfang des malerischen Werks von Schiess; die beiden Platten in der Ausstellung stammen aus den Jahren 2018 und 2019. Zum ersten Mal wurde jetzt Chrompigment für einen Lack verwendet, dessen dunkelgraubraune Tönung in Verbindung mit Mikroreflexionen der metallischen Partikel und Spiegelungen der glänzenden Oberfläche eine unbenennbare Farbigkeit produziert. „Abglanz“ ist der Begriff, den Schiess dafür verwendet. „Abglanz“ verweist sowohl auf die explizite Namenlosigkeit der farbigen Erscheinung als auch deren Vermischung mit Bildern, die das Umgebende reflektieren.
Der Glätte, dem Glanz, der Luzidität der Farbtafeln steht die Dichte, materielle Reichhaltigkeit, Stumpfheit, Uneinheitlichkeit und gestische Desorientierung neuer großformatiger Malereien auf farbdurchlässigem Gazematerial gegenüber. Sie wurden, auf dem Boden übereinanderliegend, durch einen Prozess hervorgebracht, der sich zum großen Teil der Kontrolle durch den Maler entzieht und erst gegen Ende einem abschließenden Eingriff unterzogen wird. Während die Herstellung von Farbtafeln präzise geplant und von einer Werkstatt umgesetzt wird, verdankt sich die Gazemalerei langdauernden Vorgängen der Ablagerung, der Wegnahme und der Akkumulation. Die beiden einander entgegengesetzten malerischen Praktiken aber stimmen darin überein, dass das künstlerische Subjekt sich durch sie formiert, indem es gegen seine eigene Macht über die Produktion des Bildes angeht.
Die neuen Bilder sind durch brutale Gegenläufigkeit bestimmt. Jedes Bild ist ein Fetzen Malerei, die darin besteht, dass mit Großzügigkeit, Unbekümmertheit, Je-m'enfous-ismus, promisker Risikobereitschaft und Naturnähe ausgetestet wird, wie es wäre, wenn es sich um keine Malerei, sondern etwas anderes als Malerei, ein Außen der Malerei handeln würde – dementsprechend ist diese Malerei als eine Frage, die Frage einer Grenze zu sehen. Der Niederschlag einer bis zum Zerreißen angespannten Ungewissheit aber wird einem Präsentationsapparat übergeben – der größeren, eigenfarbigen und rechteckigen Leinwand –, die das Malerei-Ding exponiert wie eine Trophäe, als Belegstück eines Oszillierens zwischen malerischem Gelingen und man weiß nicht welchen verworfenen Resten.
Dem Abglanz stellt Schiess das ewige Rühren in der alten Soße gegenüber. Das Verschiedene aber kommt mit flüchtigen, farbig infiltrierten, schemenhaften Bildern einerseits und materialschweren, malerisch auf den Punkt gebrachten Sedimenten andererseits darin überein, dass es eine Kommunikation mit dem Wirklichen unterhält, dem auf der anderen Seite der Malerei Liegenden. Diese Übereinkunft ist nur durch die Verschiedenheit möglich und folgt aus der geschichtlichen – zeitgenössischen – Unmöglichkeit, die Wirklichkeit in eine konsistente Darstellung zu überführen.
So ist die Ausstellung kein Beleg für malerische Produktivität, keine Präsentation künstlerischer Innovation oder eines Entwicklungsschrittes, denn das Werk besteht in der Exploration eines Verlustes. Malerische Konstellationen machen diesen Verlust sinnfällig und implementieren ihn als Positivität. Die Schönheit der ausgestellten Werke besteht in ihrem unerbittlichen Widerstand gegen die Option, wenigstens als Gespenster die abhanden gekommenen Bilder doch noch herbeizuzitieren.