Die 1934 in Nebraska geborene Künstlerin Sheila Hicks lebt und arbeitet seit 1964 in Paris. Lag der Schwerpunkt ihrer künstlerischen Praxis zunächst in der Malerei, so vollzog sich bereits früh eine Verlagerung und Erweiterung ihrer kreativen Tätigkeit zugunsten von weichen, biegsamen Stoffen und Materialien, wobei sie sich von alttradierten Kunstformen inspirieren ließ, zumal aus präkolumbianischer Zeit. Ihre eingehüllten, gewobenen, gestickten, verknüpften oder geflochtenen Werke aus Natur- oder Kunstfasern überschreiten programmatisch bildliche und skulpturale Grenzen, um in neue räumliche Dimensionen vorzustoßen
Dabei lässt die Künstlerin keine Gelegenheit aus, neue Wege einzuschlagen und mit neuen Mitteln zu experimentieren. Jedes Material, so ihre Auffassung, spreche eine eigene Sprache, die sich aus dessen jeweiligen Eigenschaften ergibt: aus Farbe, Dichte und haptisch-taktiler Qualität. Indem sie innerhalb ein und desselben Werks die verschiedensten – auch unerwarteten, überraschenden – Farbtöne, Texturen und Stoffe zusammenbringt und nebeneinanderstellt, eröffnet sie einen Diskurs, in dem jede Stimme ihren Platz findet und an dem sie auch uns einlädt, teilzunehmen. Denn sie ruft unsere elementarsten visuellen und taktilen Erfahrungen ab, diejenigen, die wir in den ersten Jahren unseres Hierseins erworben haben. Diese im Wesentlichen körper- und sinnesbasierte Urerfahrung stelle einen universellen, menschheitsspezifischen Fundus dar, der allerdings meist verschüttet daliege, ja von der heutigen Gesellschaft eher verdrängt werde. Von dieser inneren, vorbewussten, aus uralten Reminiszenzen gespeisten Welt durchdrungen, aber auch von der in ihrem Œuvre omnipräsenten Naturwelt stark inspiriert, lassen Sheila Hicks' Arbeiten vielfältige Assoziationen anklingen, die eine eigene, unerschöpfliche Poesie entfalten.
Das Werk Deep on a Hidden Forest Walk etwa ist ein einziges Sich-Verschlingen, Sich-Vermischen, Sich-Verdrehen von türkis- und lilafarbenen Seilen, die sich in kapriziösen Windungen biegen und sich dabei in alle Richtungen ausbreiten, welche die Schwerkraft zulässt. Trivial formuliert, ist ein Seil ein Gegenstand, der aus mehreren Bündeln von zusammenverflochtenen und -gedrehten Fäden oder Fasern besteht. Hergestellt wird es aufgrund seiner praktischen Eigenschaften, denn seine Stärke und gleichzeitige Biegsamkeit ermöglichen die so unterschiedlichen Tätigkeiten des Festbindens, des Schleppens und des Hissens. Sheila Hicks verleiht diesem Gegenstand indes eine „noch-nicht-domestizierte Form“, wobei sie das Seil von der utilitaristischen Rolle, für die es konzipiert wurde, befreit. Im Einklang mit der Naturwelt, die, so Hicks, letztendlich „immer die Oberhand gewinnt“, bemächtigt sich die Künstlerin dieses Werkzeugs, indem sie es von seinem Status als Artefakt emanzipiert und ihm seine „pflanzliche Form“ zurückgibt. So klettern diese „wilden Seile“ frei in den Bäumen herum, als seien sie Weinreben.
Bei Cosmic Wisdom oder Neighbourly Affection scheint es mir wiederum, als ob beide Arbeiten von dem Wunsch animiert wären, ein Seiendes, Lebendiges zu werden und eine eigene Persönlichkeit zu entwickeln. Die gemäß einer zentrifugalen Expansion von einer Mitte aus realisierten Werke wachsen und entfalten sich aus einem Urkern heraus, von dem sie ihre Kraft zu beziehen scheinen. Dieser Ursprungspunkt ist vielleicht nichts anderes als der Elan, aus dem das fortschreitende Werden des Objekts und seine sukzessiven Umhüllungen in seiner eigenen Natur gespeist werden. Der Prozess scheint in der Tat die Umlauf- oder Satellitenbahnen zu imitieren, auf denen sich die Himmelskörper eines Sonnensystems bewegen.
Ebenfalls mit einem kosmischen Körper befasst sich das Werk Sunny Side of the Moon. Dank der Verwendung eines Stoffes, der sowohl sonnen- wie auch regenbeständig ist, wird es tags- und auch nachtsüber sichtbar sein.
>Die Arbeiten Blue Vertical und Blue Horizontal hingegen beziehen sich aufeinander wie die weißen und schwarzen Felder eines Schachbretts. Wenngleich sie in dem intensiven Blau ihrer Farbgebung durchaus vereint sind, spielen die beiden Panelflächen sowohl mit ihrer gegenseitigen Abhängigkeit als auch mit ihrer Gegensätzlichkeit, indem sie ein orthogonales kartesisches Koordinatensystem bilden.
Zum Schluss handelt es sich bei den Prayer Rugs, wie bereits der Titel verrät, um Gebetsteppiche. Sie laden uns ein, hier quasi Platz zu nehmen, hier einen Ort zu finden, welcher die Spiritualität beflügelt. Aufgrund ihrer Größe wären sie geeignet, gleich mehrere Personen aufzunehmen, ja sogar eine ganze Familie.
Für die Realisierung der Installation Cosmic Vibrations, mit der die Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder ihre neue Dependance eröffnet, hat Hicks, gemäß ihrer Gewohnheit, die umgebende Architektur miteinbezogen. Vielleicht ist ihre Arbeit zudem als Antwort auf die bedrückenden Verhältnisse der Zeitläufte zu verstehen, denn sie eröffnet uns wieder Pfade der Sensibilität, die uns in letzter Zeit verloren gegangen sind. Fest steht: Mit diesem Werk ermutigt uns Sheila Hicks, aus der Enge unserer individualistischen Welten herauszutreten, indem sie die unmittelbarsten und am meisten sinnesbezogenen Elemente unseres Universums wieder in unsere Nähe und Reichweite rückt.