gewendet • angewendet • angewandt
Unter dem Titel gewendet • angewendet • angewandt zeigt die Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder in ihrer Dependance in der Domgasse 6 Arbeiten von zehn internationalen Künstler:innen, die sich an der Schnittstelle von angewandter Kunst, Design, Handwerk und bildender Kunst bewegen. Die fruchtbare Verbindung zwischen angewandter und bildender Kunst, also zwischen Objekten, deren Funktionalität im täglichen Gebrauch einen rational-logischen Entwurfsprozess voraussetzt und Objekten, die dem Bedürfnis nach einem ästhetischen Gestaltungswillen eines an sich „funktionslosen“ Kunstwerks entsprechen, hat in Wien lange Tradition. Der Idee des Gesamtkunstwerks folgend wollten die KünstlerInnen der Wiener Werkstätte alle Bereiche des täglichen Lebens mit Kunst überziehen mit dem Ziel, die Stadt zum Zentrum geschmacklicher Kultur auf dem Gebiet des Kunstgewerbes zu erheben. Alltagsgegenstände, Möbel, Mode, Beleuchtungskörper bis hin zu Schmuck und grafischen Entwürfen von Büchern oder Plakaten wurden unter Bedacht auf größtmögliche handwerkliche Verarbeitung und dem Willen nach Eigenständigkeit und Schönheit entworfen. Diese Entwicklung begann mit der Schaffung fortschrittlicher Arbeitsbedingungen für Handwerker:innen und endete mit der Überwindung wuchernder Jugendstilornamentik französischer oder belgischer Prägung in Richtung einer geometrisch, abstrakten Formensprache von außerordentlicher Langlebigkeit und bis heute zeitloser Eleganz.
Der Ansatz der kurzlebigen, billigen Massenware einer globalisierten Konsumgesellschaft wieder höherwertige, langlebige Handwerkskunst entgegenzusetzen ist nicht nur Ausdruck eines Eskapismus einer durch Energiekrise und Klimawandel geprägten Gesellschaft im Zeitalter des Anthropozäns. Die Wiederbelebung des Handwerks, das Interesse am Materiellen, der Wunsch nach selbstauferlegter Reduktion und Konzentration ist auch Zeichen einer durch Reizüberflutung unter kultureller Erschöpfung leidender Gesellschaft, in der die eigene physisch erfahrbare Wirklichkeit zunehmend in eine virtuell-illusionäre Realität abzugleiten droht. Der pandemiebedingte Rückzug auf das Private und die Verwandlung des Zuhauses vom Rückzugsort zur permanenten Produktionsstätte hat zu einem Verschwimmen der Grenzen von Privat- und Arbeitswelt geführt und die Gestaltung des eignen Lebensbereichs wieder mehr in den Fokus rücken lassen.
Rosemarie Schwarzwälder hat für die Ausstellung Werke der von ihrer Galerie vertretenen sowie ihr nahestehenden Künstler:innen feinsinnig zusammengestellt. Trotz aller Heterogenität im künstlerischen Ansatz verbinden sich die ausgestellten Arbeiten durch gemeinsame Fragestellungen: Aus welchen Kontexten wurden Objekte und Materialien „entwendet“ und in welchen Kombinationen wurden sie „angewendet? Wie haben sich dadurch ihre ursprünglichen Bedeutungen und Wahrnehmungszusammenhänge „gewendet“ und können sie benutzt, also „angewandt“ werden? Die Zusammenschau ermöglicht auch eine Reflexion über die historischen, politischen und kulturellen Einschreibungen in die jeweiligen Werke und die sich auch aufgrund der derzeitigen sozioökonomischen und ökologischen Verwerfungen veränderten Assoziations- und Deutungsverschiebungen.