JAMES WELLING
Der Photograph als Medium
(EIKON 45 2004)
In seinem Katalogtext zur Ausstellung in Luzern 1998 wies Ulrich Look zurecht darauf hin, daß im Werk von James Welling gewissermaßen das Medium selbst fokussiert wird.[1] Diese Selbstreflexivität, die sich vor allem in der Auswahl der “Motive” niederschlägt, scheint dem Vorgang des Abbildens geradezu immanent zu sein. Seit 1981 waren es beispielsweise die Draperien - deutbar als ikonographische Requisite bei den alten Meistern, aber auch als fein gewebte visuelle Hinweise auf das Korn und das Körnige der traditionellen Photographie. “Seiner tieferen Struktur nach ist das Fotouniversum körnig, wechselt Aussehen und Farbe, wie ein Mosaik wechseln würde, dessen einzelne Steinchen ständig durch neue ersetzt werden”[2], meinte Vilém Flusser; es geht letztendlich darum, “dass die atomistische, punktartige Struktur allem Apparatischen überhaupt eignet”[3] also um die Technik, die in Wellings Werk wohl als solche hinterfragt wird.
In der Folge konnten auch die historischen Gegebenheiten thematisiert werden. Looks Ausführungen zufolge könnte mit einer Anfang der neunziger Jahre entstandenen Serie von Photos, welche den Eisenbahnzügen und der Eisenbahnarchitektur gewidmet war, ein Konnex zwischen der Eroberung des Neuen Kontinents (Eisenbahn) und der Eroberung des Bildraums (Photographie) um die Mitte des 19. Jahrhunderts hergestellt werden. Die perspektivisch aufgenommenen, in die Ferne gleitenden Schienen ließen allerdings auch an die herkömmliche Eisenbahnphotographie denken.
Generell läßt der in Los Angeles lebende Photograph und Maler eine gewisse Interpretationsfreiheit zu. Man könnte meinen, daß diese Freiheit bereits durch den Akt des Photographierens vorausgesetzt wird. Zwar wird der Belichtungsprozeß in Wellings Photogrammen nicht dem Arbiträren überlassen, dennoch macht sich das Vorhaben deutlich, das jeweilige Bild als das Werk eines Unsichtbaren erscheinen zu lassen. Hatten die Wegbereiter und die Protagonisten der abstrakten Malerei sehr wohl bestimmte Intentionen in Bezug auf den Rezipierenden an den Tag gelegt, so kündigt die seit 1998 entstandene Serie mit dem symptomatischen Titel New Abstractions einen neuen Zugang zum Ungegenständlichen an: Es ist nämlich der Betrachtende, der die semantischen Ebenen des Bildes bestimmt. Zum einen lassen diese Silbergelatinabzüge, in denen die belichteten Papierstreifen als Instrumente des Bildaufbaus fungieren, an das Leitmotiv der Wellingschen Light sources denken - einer im formalen Sinne äußerst versatilen Serie, mit der der Künstler seit 1992 beschäftigt war; zum anderen aber darf ein assoziatives Hin und Her zwischen dem Tektonischen einer Stahlkonstruktion und dem Abbau jeglicher visuellen Codes stattfinden. “Ich habe etwas gesucht, das ich nicht sofort entziffern konnte”[4], meinte der Photograph, wohl auch in Hinblick auf das scheinbare “Neue Sehen” im Sinne eines Moholy-Nagy, wird doch in diesen Arbeiten die Illusion von im Gegenlicht aufgenommenen Stahlbänken sehr bald zur bloßen Lichtschrift oder umgekehrt, je nach Verschiebung der Streifen. Es wäre angebracht zu fragen, ob gerade diese Beschäftigung mit der Lichtschrift (was ja die eigentliche Bedeutung des Wortes Photographie ist) die selbstreflexive Strategie des Künstlers ausmacht.
Auch in den Degradés findet man die Niederschrift des Lichtes vor. Diese Serie von farbigen und schwarzweißen Photos, die der Künstler seit 1986 immer wieder erweiterte, entstand ohne die Kamera. Die teilweise Beeinflussung der Belichtung von Photopapier in der Dunkelkammer, also ein teilnahmsvolles, bewußtes Abstimmen von waagerechten Kontrastflächen, läßt vermuten, daß die Degradés mit Reminiszenzen an das Erhabene in der Malerei der fünfziger Jahre aufwarten können. Andererseits machen solche “Fenster”, bei denen die Wahl der Rahmung keineswegs eine Nebenrolle spielt, noch einmal auf die grundsätzliche Anforderung an den Betrachter aufmerksam, weitere Schritte in seiner heuristischen Rezeption vorzunehmen.
Nur zum Teil in Anlehnung an Wellings Architekturaufnahmen aus den achtziger Jahren wird neuerdings das geographische Ambiente, in dem der Künstler tätig ist, zum Gegenstand einer Untersuchung besonderer Art. Unter den prosaischen Titeln Los Angeles Photographs und Californian Landscapes sind seit 2003 Photoserien im Entstehen, deren Funktion unter anderem auch als eine ethische bezeichnet werden kann. Bedenkt man nämlich die tagtägliche Bilderflut, die ihren Konsumenten vorgefertigte Meinungen über verschiedene Tatbestände zu servieren scheint, jene Inflation des Bildmaterials also, die eine wahre Auseinandersetzung mit visuellen Inhalten verhindert, so konnte man meinen, daß mit diesen unspektakulären Ansichten die Flussersche Aufforderung wahrgenommen wird, “dieser Flut der Redundanz informative Bilder entgegenzusetzen”.[5] Freilich sind Wellings Bilder mehr als bloß informativ: Hier wird ein gewisses Unbehagen im gewohnten Umgang mit bildlichen Dingen hervorgerufen, ein Unbehagen, das nicht zuletzt damit zu tun hat, daß die abgebildeten “Nebensächlichkeiten” wie Gaszähler oder Mauern in den Hinterhöfen scheinbar unter keinen “künstlerischen” Eingriffen entstanden sind. Es sollte indessen nicht außer acht gelassen werden, daß durch die teilweise ironische Betitelung eine gewisse “Solidarität der Dinge” in einer mit Klischees betrachteten Großstadt herbeigeschworen wird; immerhin tragen so manche Arbeiten Titel, welche den halbversteckten Einzelheiten gelten - man denke etwa an den hinter einer Mauer hervorlugenden Green Umbrella oder gar an das Haus, Culver City, ebenfalls hinter einer aus billigem Material zusammengewürfelten Mauer gelegen. Ob nun solche Hinterfragungen der Rolle des Photographen in der Gesellschaft auch andere Facetten annehmen werden, bleibt abzuwarten.
[1] Vgl. Ulrich Look, Photographie und Undarstellbarkeit - James Welling. in: James Welling. Kunstmuseum Luzern 7.2. -22.3.1998 [Ausstellungskatalog], Luzern 1998, S. 4-13
[2] Vilém Flusser, Für eine Philosophie der Photographie, Göttingen 1999, S. 60
[3] Ebenda, S. 60f.
[4] Tit. In Look (vgl. Anm. 1) S. 4
[5] Flusser (vgl. Anm. 2) S. 59