Jongsuk Yoons dritte Einzelausstellung in der Galerie trägt den knappen, kryptischen Titel Han. Fragt man die in Südkorea aufgewachsene und seit den 1990er-Jahren in Deutschland lebende Künstlerin nach der Bedeutung, beschreibt sie anschaulich jene Umgebung, die sie bis heute prägt und die im Mittelpunkt der Präsentation steht – die Landschaft ihres Herkunftslandes Korea.
Das koreanische Wort Han, erklärt Yoon, sei schwer zu übersetzen. So steht Han für die Kurzform der früheren Bezeichnung des heutigen Seouls oder ist Namensgeber des viertgrößten Flusses des Landes, des Hangang. Yoons abstrahierte Landschaften entspringen ihrer Erinnerung, sind Imaginationen oder orientieren sich an fotografischen Vorlagen. Sie setzt sie aus atmosphärischen, offenen Farbflächen zusammen, die in einer dynamischen Anordnung aufeinanderstoßen, sich überlagern und ineinanderfügen. Die Farben reichen von kräftigem Rot über zarte Blautöne bis zu einem satten Gelb. Graue oder erdfarbene Töne setzt Yoon spärlich, dafür effektvoll ein. Unruhe macht sich bemerkbar, evoziert durch einen variierenden Pinselduktus. Dieser definiert die einzelnen Farbflächen, verleiht ihnen Volumen und dem Bild seine Räumlichkeit. Vereinzelt setzt Yoon Akzente durch schwarze grafische Linien. „An der spontanen, lebendigen Linie“, so Yoon, „sieht man das Tempo, mit der sie gemalt wurde und erlebt das Gefühl, das dabei entstand“.
Yoon geht in ihrem Schaffensprozess intuitiv vor, „Verschiedene Gefühle treffen aufeinander und formen das gesamte Bild“, so die Künstlerin über ihre Arbeitsweise. Gleichzeitig schöpft sie aus ihrem profunden Wissen um die Malerei und Kunstgeschichte. Sie verbindet asiatische Traditionen von Landschaftsmalerei mit Elementen eines westlich geprägten, Kanons und fügt sie zu faszinierenden Bildwelten zusammen. Die Ahnung von Landschaft wird durch Werktitel wie San, der Berg, oder Gang, der Fluß manifest. Auf dem acht Meter langen Panoramabild April Mai entfaltet Yoon eine Frühlingslandschaft, die fast die gesamte Länge des ersten Galerieraumes einnimmt.
Im Bild Hangang schlängelt sich der titelgebende Fluss als ein weißes Band vom linken unteren Bildrand in die Bildmitte, flankiert von roten und lilafarbenen Feldern. Hangang entspringt in Nordkorea und mündet in Südkorea ins Gelbe Meer. Der Fluss verbindet die beiden, durch politische Entscheidungen getrennten Länder und steht symbolisch für die Einheit des Landes, für den Wunsch auf eine Wiedervereinigung. Der Begriff Han kann auch mit dem Wort Einheit übersetzt werden und nimmt Bezug auf die biografischen Erfahrungen der Künstlerin, auf die politische Situation, die seit Jahrzehnten ihr Herkunftsland bestimmt und in ihren Darstellungen von Natur und Landschaft symbolhaften Ausdruck findet. Für Yoon, die von den Auswirkungen dieser Politik bis heute geprägt ist, ist die Kunst „mächtig und frei“, sie birgt Hoffnung auf Veränderung.
Eine umfassende Publikation mit Erscheinungsdatum Frühjahr 2025 dokumentiert die vergangenen zehn Schaffensjahre der Künstlerin. Mit Texten von Adam Budak, Heike Eipeldauer und Hans Ulrich Obrist, herausgegeben im Verlag Mousse Publishing
Photo
Achim Kukulies
Markus Wörgötter
Inquire about the artist/s, presented or related artworks