Wir freuen uns die dritte Einzelausstellung der chinesischen Künstlerin Miao Ying zu präsentieren. Die Präsentation zeigt eine Live-Simulation des maschinellen Lernens sowie Gemälde, die auf Bilderwelten basieren, die während des Trainings der Künstlichen Intelligenz generiert worden sind. KI: die Alchemie der Jetztzeit inklusive Glitch-Landschaften, Zaubersprüchen und visueller Spezialeffekte – kontinuierlich erkunden die ausgestellten Arbeiten die Ästhetik von digitalen Assets.
Mit der Werkgruppe „Training Landscapes“ (Öl auf Leinwand) geht menschliche Kunstfertigkeit, fortgeschrittenes Expertenwissen und der enigmatische Touch der künstlichen Intelligenz eine faszinierende Verbindung ein. Indem sie aus einem Reservoir an vorgefertigten digitalen Gaming-Elementen schöpfen, verweben diese Bilder immersive Landschaften aus dem Reich der Abenteuer- und Fantasy-Games nahtlos miteinander. Es entsteht eine kunstvolle Kulisse, die sowohl die Quest des suchenden Helden anspornt als auch die Zuschauer:innen durch die resultierenden Handlungsszenen hindurchführt.
Am Anfang der kreativen Reise stehen glitchinfizierte Landschaften, die aus den Tiefen des Trainierens eines Deep-Learning-KI-Modells innerhalb einer Game-Engine auftauchen. Diese simulierten Bilder dienen daraufhin als Fundament für ein weiteres KI-System, indem sie als Katalysator für die Geburt innovativer visueller Narrative verwendet werden. Anschließend wird der Staffelstab an einen menschlichen Amateurmaler weitergereicht, der – auch er glitchanfällig wie eine halbtrainierte KI-Plattform – den Malprozess zwar beginnt, ihn aber bald an die Künstlerin weiterreicht. Diese, seit ihrem 10. Lebensjahr im Sozialistischen Realismus ausgebildet, wendet feinfühlig Glasurtechniken an, um somit dem Kunstwerk ihre eigene emotionale Resonanz zu verleihen.
Im Laufe dieses komplexen, kollaborativen Tanzes entfaltet sich ein harmonischer Dialog, wobei die menschliche Erfindungsgabe und die künstliche Intelligenz eine Symbiose eingehen und die Kreativität der jeweils anderen gegenseitig stimulieren. Die Flugbahn des Kreativen nimmt eine Kurve, das Digitale wird in das Reich des Analogen gemorpht, es wird eine nahtlose Symphonie an digitalen und physischen Interaktionen orchestriert. Jedes Meisterwerk ist eine Ode an die rau-zerklüftete Beschaffenheit der Landschaft, an die mystischen Beschwörungen einer fantasybeflügelten politischen Saga sowie an die Feinheiten der Zaubersprüche der Technomantie. Jedes wird nach lyrischen Versen aus der Feder von GPT benannt, die das Wesen der handgefertigten Welt verewigen.
Das Werk „Technomancy at Polarized Rift“ ist ein Fenster mit Aussicht in das pulsierende Herz der digitalen Landschaft, eine immersive Live-Simulation, die auf die Leinwand einer hochmodernen Computersoftware – Infinite Length – geätzt worden ist. Das fesselnde Panorama materialisiert sich: eine windgepeitschte Weite mit schroffen Felsformationen, durchquert von einer ätherischen, scheinbar grenzenlosen Schlucht, die in einen außerweltlichen, atmosphärischen Schleier eingehüllt ist.
Das Tableau macht sich die Kerninhalte von vorgefertigten digitalen Gaming-Assets zunutze, um einen Wandteppich dramatischer Landschaften zu weben, die aus dem essenziellen Repertoire abenteuerreicher Gaming-Quests und dem nuancierten Zusammenspiel fantastischer Elemente schöpft. Als exemplarische Kulisse beflügelt sie das Narrativ der Reise des Helden, seiner Odyssee nach einem Reich unerhörter Ideale und Wunder.
Die Leinwand pulsiert mit subtilen Farbverläufen, die den flüchtigen Tanz von Licht und Schatten auf dem Terrain widerspiegeln – alles verwoben mit einem Kaleidoskop an sich immerwährend verändernden Umwelt- und Witterungsnuancen. In dieser dynamischen Tapisserie tauchen geheimnisvolle Zauberformeln auf, zunächst als sporadische Erscheinungen, dann zusammenwachsend zu einer Symphonie chaotisch-wirrer Zauberei. Jede von ihnen ist eine spezifische Schöpfung der KI-Maschinen für Deep Learning, die unter der Oberfläche unaufhörlich immer und immer weiterlaufen. Die enigmatische Magie der meisterhaften KI bleibt schwer fassbar, verdeckt hinter der schieren Bravour und Brillanz ihrer Zauberkunststücke.
Mit einem spontanen Tusch erwacht das auditive Reich zum Leben. Es ertönen Verse, die an die dichterischen Denkspiele aus der subtil-intelligenten Feder von GPT erinnern. Sie offenbaren die zerklüftete Komplexität der Landschaft, die Verwicklungen des politischen Ränkespiels, die Mystik der kunstvollen Technomantie. Kanalisiert durch die sonore Intonation eines KI-Gehirns mit britischem Akzent, hallen die Verse nach. Sie verschränken sich nahtlos mit dem visuellen Schauspiel, das in einem immersiven, multisensoriellen, die Grenzen des Digitalen übersteigenden Erlebnis kulminiert.
Miao Ying
Training Landscapes No.7 - Clockwork symphony, gears align, a melody of magic, notes divine, 2023
ULI SIGG hat in Jura promoviert und danach als Journalist für verschiedene Schweizer Zeitungen und Magazine geschrieben. Als Mitarbeiter eines Industrieunternehmens gründete er 1980 das erste Joint Venture zwischen China und der Außenwelt. Im Jahr 1995 ernannte ihn die Schweizer Regierung zum Botschafter in China, Nordkorea und der Mongolei. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz übernahm er erneut den Vorsitz oder das Verwaltungsratsmandat in mehreren multinationalen Unternehmen. Er ist ferner als Investor im Tech-Bereich tätig.
Als Kunstsammler hat Uli Sigg die weltweit bedeutendste Sammlung zeitgenössischer chinesischer Kunst mit rund 2500 Werken aufgebaut. Im Jahr 2012 schenkte er 1450 dieser Werke dem M+ Museum for Visual Arts in Hongkong. Er hat rund 25 Museumsausstellungen seiner Sammlung mitverantwortet. Außerdem gründete er 1997 den Chinese Contemporary Art Award (CCAA) für zeitgenössische chinesische Künstler und einen Preis für in Großchina lebende Kunstkritiker. Der Kunstpreis wird als SIGG PRIZE vom M+ Museum fortgeführt.
Er ist Mitglied des M+ Museum Board, des International Council des MoMA – Museum of Modern Art, New York, des International Advisory Council der Tate Gallery, London und Mitglied des Vorstandes der Zürcher Kunstgesellschaft.