Wie schön das wäre, wenn wir in das Spiegelhaus hinüber könnten! Sicherlich gibt es dort, ach! so herrliche Dinge zu sehen! Tun wir doch so, als ob aus dem Glas ein weicher Schleicher geworden wäre, dass man hindurchsteigen könnte. Abe es wird ja tatsächlich zu einer Art Nebel! (Lewis Carroll, Alice hinter den Spiegeln)
„Ohne Titel (Augen im Spiegel)“ war der Titel einer Arbeit, die Michał Budny 2008 in seiner ersten Ausstellung „Winter“ in der Galerie nächst St. Stephan zeigte – ein zweidimensionales Wandobjekt mit zwei kreisrunden, schwarzen Acrylklecksen auf rohem Karton. Sie thematisierte im Widerspruch zu ihrem Titel nicht reflektierende Wiedererkenntnis, sondern zwei blinde Flecke, nicht räumliche Verdoppelung, sondern eine Art von Sehstörung, einen Fehler, der kein Defekt ist, sondern auf planer Fläche einen neuen, ungewissen Raum eröffnet. Ungewiss in seiner Materialität, ungewiss in seiner Zwei- und Dreidimensionalität: eine Welt, in der sich die Ordnung von Raum und Zeit verschoben hat.
Seither versucht Budny mit seinen Arbeiten die Möglichkeiten dieser „verrückenden“ Welt auszuloten, die einer psychischen Landschaft gleicht, einem blinden Spiegel oder verblassten Porträts, einer Welt, die Zeit und Raum rückläufig spiegelverkehrt aufrollt und Spuren von zukünftig Vergangenem andeutet. Die verwendeten Materialien – Karton, Transparentfolien, Klebebänder – sind bewusst arm und unterliegen von vornherein der Vergänglichkeit und äußeren Kräften.
Budnys Spiegel sind keine glatten, glänzenden Flächen, die präzise Bilder vorhalten, sondern solche, die Wahrnehmungsmöglichkeiten herstellen, flüchtige Transparenzen und labile Prozesse der Empfindung. Sie können sich als flache Bilder oder räumliche Installationen gestalten und veränderliches Licht und Schatten einbeziehen. Der virtuose Umgang mit Karton, Schere und Acryl, der zuvor Objekte scheinbar minimalistischer Perfektion hervorbrachte, hat einem experimentellen Ausloten und Befragen von Skulptur und ihrer Konsistenz Platz gemacht. Die neuen Objekte gleichen mit Präzision und Methode unfertigen, auf halbem Weg belassenen Gebilden. Sie behaupten nun nicht mehr die Faktizität eines skulpturalen Körpers, sondern thematisieren in aller ihrer Poesie und Fragilität dessen Entstehungsprozess, seine Potentialitäten und Bedingtheit in Raum und Zeit.
Michał Budny wurde 2007 zu “Bodycheck“, der 10. Kleinplastik-Triennale in Fellbach, und 2008 zur Manifesta 7 im Trentino eingeladen. Nach seiner medial vielbeachteten Einzelausstellung 2010 in der South London Gallery wird er 2011 Einzelausstellungen im Kunstverein für die Rheinlande und Westfalen, Düsseldorf, und im Kunstmuseum Stuttgart bestreiten.
Mit freundlicher Unterstützung des Polnischen Instituts Wien