WOLKE IN FORM EINES SCHWERTES
Bei ihrer Grenzen sprengenden Arbeit im erweiterten Farbraum hat Katharina Grosse immer wieder Interieurs – Betten, Wände, ganze Ausstellungsräume –, Äußeres wie Strandflächen, Bäume, Häuser und technische Infrastrukturen zusammen mit eigens hergestellten Bilduntergründen — u. a. Leinwänden, Erde, Latex, Kunststoffblöcken — in vielfarbige, immersive und in vielerlei Hinsicht temporäre Farb-Umwelten transformiert.
Bei dieser Transformation wird etwas so Zartes wie die Farbe plötzlich sehr mächtig, obschon sie in der Philosophie stets als sekundär und untergeordnet aufgefasst wurde. Aber es ist keine einzelne Farbe, es ist auch kein Farbkommando, kein System der Farben, keine Struktur oder Funktion von Farbigem, der dies zuzuschreiben wäre. Es ist auch nicht die Buntheit, die extreme Präsenz und Eigensinnigkeit der Farben, die Katharina Grosses Arbeiten so unverkennbar machen. Vielmehr muss der Grund dafür, dass ein Farbnebel die üblichen Hierarchien umkehrt, in denen uns die Dinge begegnen und durch die wir uns der Welt bemächtigen, in anderen Qualitäten gesucht werden, die sich erst durch den Prozess, durch die Zusammenstellung, die Übergänge, die Verläufe, die Dimensionen, die Ränder und das Unfertige, durch die Sichtbarkeit der Untergründe und Bedingungen ergeben. Dies geschieht zunächst im Register des Scheins — so wie Regentropfen verdunsten, sich ballen und, scheinbar zufällig, als Wolkenformation einem Schwert gleichen. Es ist kein unzerbrechliches Schwert, dennoch ist es Teil eines Kampfes. Der Schein wird Teil einer Bewegung, die ungeheure Energie entfalten kann.
Der Titel „Wolke in Form eines Schwertes“ geht auf einen für das Theater gedachten Text Antonio Negris zurück, in dem dieser über Schwärme nachdenkt; über die Macht und die Intelligenz von Schwärmen, die auf Formationen zurückzuführen ist wie auch darauf, dass sie, aufgrund ihrer Vielfältigkeit, fast nicht zerstört und vernichtet werden können. Sie tauchen auf, assoziieren sich und verschwinden. Schwärme sind der Ausdruck für Negris Hoffnung, dass der „General Intellect“, der sich durch die unzähligen Knotenpunkte der Netzwerkgesellschaft bildet, in eine politische Transformation umschlägt. Fahim Amir hat die noch sehr anthropozentrische Vision Negris aufgegriffen und ausgeweitet: auf nichthumane Akteure wie Moskitos, Termiten oder Schweine.
Nun setzt Katharina Grosse einen weiteren Aufstand in Szene, versetzt Untergründe, Voraussetzungen und Nachleben in die Präsenz des Bildes, gegen die sich abzeichnende Dominanz der Farben, und lässt den geschlossenen Farbraum, die Spur der Malerin im Gemälde, aufplatzen. Sie verschlingt das menschlich Artifizielle und das animalisch oder pflanzlich Gewachsene mit dem noch Ungewordenen, mit Fragmenten eines kommenden Ereignisses. Sie konfrontiert das, was die Farbe trägt, wovon die Farbe lebt, was sie hervorgebracht hat, hält und ausbreitet, mit dem, wovon sie sich abgrenzt und in das sie, fast übergriffig, hineinragt; mit dem, was die Farben auch zusammen nicht vermögen: Die in die Gemälde eingebrachten oder eindringenden Holzteile, die Bretter und Äste werden von den Tentakeln der aufgeschlitzten, ausgesägten, skulptierten Leinwand aufgefangen und umschlungen.
Die Farbe umspielt dies, geht darauf ein, fasst es zusammen, aber ordnet und beherrscht nicht. Es entsteht eine prekäre und ephemere Assoziation, ein Zusammenschluss von Farben und Formen, von Lücken und Materialien, eine Vielheit, ein Schwarm, der über die Systeme hinausgeht, in denen die Leinwände, Rahmen, Farben, Knoten und Äste Funktionen ausfüllen, Rollen spielen, Bedeutung tragen. Im Vergleich zu anderen Arbeiten Grosses sind die hier präsentierten fast Miniaturen und Gedankenexperimente, in denen neue Innen- und Außenverhältnisse, Verschlingungen und Ausstülpungen, Flächen und Körper, Grenzverschiebungen und Balanceakte ausprobiert werden.