Spuren können nebeneinander verlaufen, sich überkreuzen oder überlagern. In Jongsuk Yoons Werk verdichten sich die Spuren – von Zeitlichkeit, Körperlichkeit, Erinnerung und biografischer Geschichte – und führen in ihrem Zusam-menspiel zu eigenwilligen Bildwelten von eindrücklicher Farbigkeit. Die in Südkorea geborene und seit den frühen 1990er-Jahren in Deutschland lebende Künstlerin vereint in ihrem malerischen Werk Traditionen der asiatischen Landschaftsmalerei mit einem westlichen Kunstkanon, der von der Abstraktion geprägt ist. Diese Elemente übersetzt Yoon in ihre abstrakten Landschaften, die sie aus großflächigen, sich überlagernden Formen bildet.
Titel wie Meer, June oder Rivers wecken Assoziationen zu Naturbeobachtungen und Stimmungslagen. Die eigenen Erinnerungen Yoons an die südkoreanische Landschaft entfaltet die Künstlerin in ihren Bildern: Azalea Mountain bezieht sich auf eine Bergkette in Südkorea, die im Frühjahr durch die blühenden Azaleen in grellem Pink erstrahlt und titelgebend für Yoons zweite Einzelausstellung in der Galerie ist.
Andeutungen von politischen Aspekten begegnet man in Kumgansan, benannt nach der gleichnamigen Bergregion, die seit Jahrzehnten die willkürliche und sichtbare Trennlinie von Nord- und Südkorea bildet und von großer geopolitischer und symbolischer Bedeutung ist. Für Jongsuk Yoon symbolisieren diese Bilder die aktuelle politische Realität: „Ich bin der Meinung, dass die Malerei als Medium in der Lage ist, die Authentizität und Symbolik der Kunst als ein mächtiges Werkzeug für den Wandel zu zeigen. Jede Beschäftigung mit Korea besitzt eine politische Dimension, und so sind die Bilder, die sich auf Korea beziehen, politisch aufgeladen.“
Eine bedeutende Rolle in Yoons Werken spielt die Zeit. Die Künstlerin arbeitet an mehreren Bildern gleichzeitig und lässt genügend Zeit verstreichen, bis sie das Gefühl für das Setzen des nächsten malerischen Schrittes bekommt. Die Konzeption und die Auswahl der Formen und Farbtöne erfolgt häufig im direkten Schaffensprozess. Yoons Farbpalette ist breitgefächert, schwarz, weiß oder rot werden jedoch nur sparsam verwendet, als Akzente oder starke Gesten.
Struktur und Tiefe erhalten die Bilder durch sorgfältig gesetzte, nebeneinander und übereinander gemalte Formen und Farbschichten, die durch ihre Anordnung Narrationen erzeugen und Spuren von angedeuteten Landschaftselementen erahnen lassen. Yoon bezeichnet ihre, auf einem teilweise meditativen Malprozess basierenden Arbeiten, als „Mindscapes“, als „Seelenlandschaften“, in denen sie ihre innere Gefühlslage artikuliert. Stephan Berg bemerkt dazu, dass all diese Bilder von Landschaft handeln, „…dies aber in einem absolut umfassenden und innerlichen Sinn, in dem Landschaft nicht in erster Linie als Darstellung, sondern vielmehr als seelischer Ausdruck, als Ein-Bildung begriffen wird.“.
Die Entstehung jedes Werkes erscheint der Künstlerin wie ein Dialog zwischen ihr und dem Bild. Ihr körperlicher Malprozess – zumal bei großformatigen Werken – lässt sich wie eine Ablagerung von Sedimenten auf der Bildfläche ablesen. Yoon trägt kraftvoll dichte Schichten von Ölfarbe auf die Leinwand auf, korrigiert, verändert, wischt bereits aufgetragene Farbe wieder weg. Die Spuren der Veränderungen bleiben sichtbar und werden für Yoon Teil des Bildes, das dadurch Schichten von Farbe, von Zeit und von einem Malprozess in sich aufnimmt, der von einem kraftvollen Gestus und präzisen Setzungen getragen ist.