In den frühen 1990er-Jahren wurde der Arbeit von Adrian Schiess eine grosse Aufmerksamkeit zuteil. Seine auf den Boden gelegten grossen farbigen Tafeln schienen eine Verbindung zwischen radikaler Abstraktion und Minimalismus herzustellen. Dennoch sah der Künstler in dieser Anerkennung stets ein «grosses Missverständnis», das nur ein anderer Teil seines Werks ausräumen konnte: die Arbeiten auf Papier. Seit Beginn seiner Karriere vor mehr als vierzig Jahren hat Adrian Schiess täglich gezeichnet. Dabei suchte er lediglich mittels einer möglichst unmittelbaren Geste ohne Virtuosität oder vorgefasste Meinung seine Umgebung auf dem Papier festzuhalten. Während seine farbigen Tafeln nur dann Bedeutung gewannen, wenn man beobachtete, wie sich die Lichtreflexe auf ihrer Oberfläche bewegten, ist der Künstler vor einem Blatt Papier bestrebt, selbst zu einer reflektierenden Fläche zu werden. Dieses fast unbekannte riesige Korpus – mehrere Zeichnungen pro Tag während Jahrzehnten – versetzt uns in die Lage, komplexere und intimere Fragen an das Schaffen von Adrian Schiess zu stellen: Wie kann ein Künstler an der Wende vom 20. zum 21. Jahrhundert mit seiner Subjektivität umgehen, wie kann er sie in Schranken halten, ohne sie zu verleugnen? Wenn man sich im Allgemeinen darüber einig ist, dass ein Kunstwerk ein Spiegelbild seiner Zeit ist, handelt es sich dann um die verrinnende oder um die augenblickliche Zeit?
Die Ausstellung ist wie ein gezeichnetes Tagebuch konzipiert, das die lineare Zeit überwindet. Während die Kalendertage eine regelmässige Abfolge bilden, springen die Jahre vor und zurück, um die Ankunft eines Frühlings darzustellen, die sich über fast zwanzig Jahre erstreckt.